Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 3. bis zum 10. Oktober 2025

Der Waffenstillstand in Gaza hat begonnen und ganz ähnlich wie in Syrien gehört die türkische Regierung zu den maßgeblichen Beteiligten. Sie geht damit ein beträchtliches politisches Risiko ein, denn sowohl in Gaza als auch in Syrien gibt es bis zu einem dauerhaften Frieden hohe Widerstände zu überwinden.

Mord auf offener Straße

Im Herzen Istanbuls, auf einer der Hauptstraßen wurde während der Rush Hour ein Anwalt in seinem Auto mit automatischen Waffen erschossen. Es war ein bekannter Anwalt. Zum einen aufgrund seiner Klienten. Er hat mehrfach Attentäter verteidigt, die der organisierten Kriminalität zugerechnet werden. Er war aber auch bekannt, weil er selbst der Mittäterschaft bei dem Attentat an dem früheren Vorsitzenden der Ülkü Ocakları Sinan Ateş verdächtigt wurde. Die Ülkü Ocakları sind die Jugendorganisation der MHP und es bestand der Verdacht, dass führende MHP-Politiker in den Mord verwickelt waren.

Die Täter des Attentats auf den Anwalt konnten noch am selben Tag mit den Tatwaffen festgenommen werden. Zwei von ihnen sind jünger als 18 Jahre. Dies überrascht nicht, weil Banden verstärkt Jugendliche für solche Aufträge einsetzen, da sie ein geringeres Strafmaß zu erwarten haben. Die Polizei konzentrierte sich schnell auf den Konflikt zweier international operierender Banden. Der Anwalt könnte als Rache für einen Mord in Spanien und einen in Belgien getötet worden sein.

Doch der Anwalt galt auch als ein Schlüssel zum Hintergrund des Attentates auf Sinan Ateş. Was auf den ersten Blick wie der Stoff für einen Kriminalroman wirkt, wirft jedoch auch ein Schlaglicht auf die Querverbindungen zwischen Politik und Schwerstkriminalität. Beweisbar ist dabei wenig. Doch der Kontrast ist auffällig: Während beispielsweise bei den Korruptionsermittlungen gegen die Metropole Istanbul immer weitere Kreise gezogen werden, bemühen sich Polizei und Staatsanwaltschaft sowohl bei dem Mord an dem Anwalt als auch beim Attentat auf Sinan Ateş sich auf die unmittelbaren Täter zu konzentrieren.

Gerichtsurteile mit politischer Wirkung

Istanbul steckt voller Wunder. Die CHP hat dort einen gewählten und einen gerichtlich eingesetzten Provinzvorsitzenden. Und im Stadtbezirk Bayrampaşa ist nun auch eine interessante Situation entstanden. Der dortige Bürgermeister war im Zuge einer der Korruptionsermittlungen verhaftet und vorübergehend suspendiert worden. Ein Vertreter wurde durch den Stadtrat gewählt. Weil keine Mehrheit zustande kam, wurde gelost. Die unterlegene AKP legte Klage vor dem Verwaltungsgericht ein. Dies erließ eine einstweilige Anordnung, dass die Wahl bis zum endgültigen Urteil unwirksam sei. Damit hat der Stadtbezirk also keinen Bürgermeister. Würde die Wahl im Stadtrat wiederholt, wäre das Verwaltungsgerichtsverfahren überflüssig. Die Voraussetzung für die Einsetzung eines Bürgermeisters durch das Innenministerium ist auch nicht erfüllt.

Selahattin Demirtaş und der Friedensprozess

Der frühere HDP-Ko-Vorsitzende Selahattin Demirtaş sitzt seit Jahren im Gefängnis, obgleich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Verurteilung als politisch motiviert bewertet und eine unverzügliche Freilassung fordert. Zwar sieht die türkische Verfassung vor, ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs als bindend anzuerkennen, doch beruft sich die türkische Justiz darauf, dass die Urteile bisher nicht rechtskräftig geworden sind. Im Zuge des Friedensprozesses war die Erwartung entstanden, dass Selahattin Demirtaş freigelassen würde. Die Einspruchsfrist für das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte lief am 8. Oktober ab. Damit wäre das Urteil rechtskräftig geworden und eine Freilassung möglich geworden, ohne dass die türkische Justiz ihre Rechtsauffassung ändern müsste. Eine elegante Lösung, die jedoch vertan wurde. Am letzten Tag der Einspruchsfrist entschloss sich das türkische Justizministerium zum Handeln und legte doch noch Einspruch ein.

Grundsätzlich besteht aus der Europäischen Menschenrechtskonvention die Verpflichtung, bei Feststellung einer Menschenrechtsverletzung diese unverzüglich abzustellen. Das Warten auf die Rechtskraft des Urteils ist demnach selbst ein weiterer Verstoß – was das europäische Gericht ebenfalls festgestellt hat.

Für den Friedensprozess wiederum bedeutet der Einspruch mindestens eine weitere Verzögerung. In diesen Tagen wird die Parlamentskommission daran gehen, den Rahmen für Rechtsänderungen abzustecken. Über einen Fortschritt bei der Entwaffnung der PKK ist nichts bekannt. In Syrien waren im Norden Aleppos Kämpfe zwischen der kurdisch dominierten Miliz der Demokratischen Kräfte Syriens und Regierungstruppen ausgebrochen, die jedoch nach einem Tag durch einen Waffenstillstand beendet werden konnten. Unmittelbar im Anschluss daran wurden die Gespräche zwischen den kurdischen Selbstverwaltungsgebieten und der Zentralregierung wieder aufgenommen. Entgleist ist der Friedensprozess damit noch nicht, doch hängt er seit einigen Wochen fest.

Die Superstaatsanwaltschaft Istanbul

Nach der Can Holding und der Ciner Holding sowie gegen ein Unternehmen im Gold- und Devisenhandel ist die Abteilung für Finanzverbrechen Istanbul in dieser Woche gegen zwei Hotelinhaber und einen Reiseveranstalter in Antalya vorgegangen. Im Zuge der Ermittlungen gegen die Hotelbesitzer erfolgten sechs Festnahmen. Bei der gesonderten Ermittlung gegen einen Reiseveranstalter erfolgten zwei weitere Festnahmen. Ermittelt wird anscheinend der Vorwurf der Geldwäsche.

Details zu den Ermittlungen wurden bisher nicht bekannt. Auffällig ist jedoch, dass in den letzten Wochen wiederholt Festnahmen unter Geschäftsleuten vorgenommen wurden.

Parallel dazu geht die Diskussion über das neue KI-Instrument Kurgan der Finanzämter weiter. Bumin Doğrusöz von ekonomim stellt die Diskussion in einen etwas breiteren Rahmen. Er weist darauf hin, dass die Steuerprüfung ausgehend von OECD-Grundsätzen eine neue Strategie entwickelt, die darauf zielt, Verstöße als Straftatbestände zu definieren, Methoden der Bekämpfung organisierter Kriminalität wie Telefonüberwachung u.ä. auch der Steuerprüfung zugänglich zu machen und den Einzug von Erlösen aus Straftaten zu erleichtern. Kurgan ist in diesem Paket nur ein Instrument. Doch im Hinblick auf dessen Einsatz stellen sich auch bei Doğrusöz Fragen. Auf der Grundlage der Analyse werden Steuerpflichtigen Warnungen zugesandt. Da diese Warnungen jedoch weder die Ursache des Verdachts, noch ein Hinweis, wie dieser ausgeräumt werden könnte, enthalten, führen sie zu einer breiten Verunsicherung.

Trendwende bei der Inflation?

Die September-Inflation hat Irritationen ausgelöst. Zum ersten Mal seit mehr als einem Jahr ist die Jahresinflation wieder angestiegen. Nun muss dies nicht unbedingt eine Trendwende signalisieren. Doch es ist offensichtlich, dass die Inflationsbekämpfung nur schleppend vorankommt. In einem Beitrag für die Wirtschaftsplattform ekonomim führt der Wirtschaftswissenschaftler Erhan Aslanoğlu aus, dass eigentlich bereits seit Juni eine neue Aufwärtsdynamik bei der Inflation festzustellen ist. Ohnehin bewegt sich die Jahresinflation in den letzten Monaten mehr oder weniger horizontal, was das Risiko birgt, dass sie sich auf einem Niveau von 30-40 Prozent niederlassen könnte.

Fatih Özatay, ebenfalls Kolumnist bei ekonomim, mahnt jedoch zur Differenzierung. Man müsse die Inflationsdynamik der führenden Wirtschaftsnationen von den übrigen unterscheiden. Während bei ersteren Faktoren wie Angebot und Nachfrage eine wichtige Rolle für die Inflationsentwicklung spielten, zeigten Studie, dass in abhängigen Ökonomien die Entwicklung der Devisenkurse eine weit stärkere Auswirkung auf den Preisauftrieb haben. Im Widerspruch zur Zentralbankpolitik steht diese Feststellung nicht, denn auch diese hat neben der Zinspolitik auch eine Stabilisierung der Türkischen Lira in den Mittelpunkt gestellt.

Demgegenüber erklärte der Zentralbankpräsident Fatih Karahan, dass der Abwärtstrend der Jahresinflation anhält und sich die Inlandsnachfrage abschwäche. Er zeigt sich überzeugt, dass durch die Maßnahmen der Zentralbank das Inflationsziel für 2025 gehalten werden könne.

Begleitet wird dies von einer deutlichen Stagnation der Industrieproduktion, die unter Nachfrageschwäche leidet. Paradoxerweise melden jedoch manche Märkte Rekordabsätze – beispielsweise der Kraftfahrzeugmarkt. Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass in Zeiten rückläufiger Kaufkraft und hoher Kreditzinsen gerade die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern wie beispielsweise Kraftfahrzeugen zurückgehen würde. Gleichwohl steigt die Nachfrage insbesondere im gehobenen Preissegment.

Hier gewinnt eine Analyse von Emre Alpan Inan in ekonomim an Plausibilität. In zwei Beiträgen stellt er einen Zusammenhang zwischen Einkommensverteilung und Nachfragestrukturen her, der geeignet ist, nicht nur soziale Ungerechtigkeit aufzuzeigen, sondern auch die Wirksamkeit geldpolitischer Instrumente in Frage stellt. Zunächst führt er auf, dass die 20 Prozent Haushalte mit dem höchsten Einkommen einen Anteil von 48 Prozent am Gesamtkonsum haben. Ihr Anteil lag 2024 beim 8,6fachen dessen der 20 Prozent mit dem geringsten Einkommen. Am weitesten öffnet sich die Schere dabei bei Bildung und Verkehr. Während die Hochzinspolitik die Nachfrage weiter Bevölkerungskreise bremst, verfügen die reichsten Haushalte nach wie vor über ausreichende Mittel, um völlig unbeeindruckt von der Preisentwicklung ihren Lebensstandard auszubauen. Angesichts ihres Anteils am Gesamtkonsum wiederum hebelt dies zumindest den Aspekt des Inflationsbekämpfungsprogramms aus, der auf eine Senkung der Nachfrage zielt.

Innovative Landwirtschaft

Auch wenn die türkische Landwirtschaft in vielen Bereichen durch Exportstärke hervorsticht, so gilt sie insgesamt als im internationalen Vergleich wenig innovativ. Ein Gegenbeispiel hat Didem Eryar Ünlü in ihrer Kolumne bei ekonomim vorgestellt. Sie weist auf ein Partnerschaftsabkommen zwischen der Alova Farm aus Yalova mit zwei US-Unternehmen und einem spanischen hin, das am Rande der internationalen Fruit Attraction Messe in Spanien abgeschlossen wurde. Alova Farm ist die zweite Karriere des Gründers Levent Sarılgan und hat sich auf die Produktion von Blaubeeren, Himbeeren, Brombeeren und Johannisbeeren spezialisiert. Nach Auffassung von Sarılgan verfügt die Türkei über das weltweit größte Produktionspotenzial für Blaubeeren. Durch die Entwicklung eigener Sorten zielt die neue strategische Partnerschaft mit den internationalen Partnern darauf, von Yalova aus einen weltweiten Export zu ermöglichen. Der Vorteil besteht nicht zuletzt darin, dass der Wert dieser Beeren pro Kilogramm um den Faktor 4-5 höher liegt, als der der traditionellen Obstexporte.