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Die CHP führt ihren Parteitag durch. Vermutlich um ein Bild der Geschlossen abzugeben fanden verschiedene Treffen statt. Als einer der Spitzenpolitiker besuchte Ekrem İmamoğlu den früheren Vorsitzenden Kılıçdaroğlu. Kurz darauf fand ein Treffen zwischen dem aktuellen Vorsitzenden Özel, dem Ankaraner Oberbürgermeister Yavaş mit Kemal Kılıçdaroğlu statt. Dieser wiederum nahm am Parteitag nicht teil. Zudem führte Özel in seiner Eröffnungsrede aus, dass er zwar von einem Treffen von İmamoğlu mit den Istanbuler Delegierten wisse, dies aber als natürlich erachtet, dass es der Entwicklung der CHP dienlich sei. Nach Einheit sieht dies nicht aus. Als Beispiele für die Schwenks in der türkischen Außenpolitik können der nach wie vor von der türkischen Regierung nicht bestätigte Aufnahmeantrag in das Staatenbündnis BRICS sowie der Ankara-Besuch des ägyptischen Präsidenten Sisi bewertet werden. Mit Neugierde wurde außerdem die Präsentation des Mittelfristigen Wirtschaftsprogramms erwartet. Die Vorstellung wurde von Vizepräsident Yılmaz übernommen und neben Finanzminister Şimşek von weiteren Ministern und dem Zentralbankchef begleitet.
RTÜK, die Aufsicht für Radio und Fernsehen und nun auch für das Internet, gilt nicht unbedingt als Parteigänger der Meinungsfreiheit. In einem Fernsehinterview erklärte dessen Präsident Ebubekir Şahin die neuesten Projekte dieses Gremiums. Er machte dabei kein Hehl daraus, dass ihm über Youtube gesendete Straßeninterviews ein Dorn im Auge sind. Und so kündigte er Schritte gegen alle Beteiligten an. Die Interviewpartner erinnerte er an die Regeln für Interviews, die auch hier gelten müssen. „Unabhängig davon, wer etwas sagt, wird bei einem Verstoß festgenommen und gegen ihn ein Untersuchungsverfahren eingeleitet.“ Er mag dabei an Dilruba Kayserioğlu erinnert haben, die nach einem solchen Interview wegen „Volksverhetzung“ und „Präsidentenbeleidung“ 13 Tage in Untersuchungshaft saß. Für diejenigen, die solche Reportagen durchführen kündigte er an, dass sie ein Lizenz von RTÜK einholen müssen. Und Youtube warnte er, dass die Plattform für anstößige Inhalte zur Verantwortung gezogen werden kann.
Was hatte Dilruba Kayserioğlu gesagt? „Weil ihr alle Freiheitsrechte in die Hand eines Menschen gelegt habt, diesen über Allah gestellt anbetet, weil ihr die Schließung sozialer Medien unterstützt, die Ermordung von Tieren unterstützt, seid ihr alle Schwachköpfe mit Hirnverkleinerung.“ Man muss diese emotionale Äußerung nicht unterstützen. Man kann sie auch politisch falsch finden. Doch inwieweit sie eine Bevölkerungsgruppe gegen eine andere aufhetzt, bleibt offen. Zur Präsidentenbeleidung wäre es zudem wohl erforderlich, dass sie die Äußerung gegen den Präsidenten richtet. Sie dagegen verschmäht dessen Anhänger.
Dass eine Person für solche Äußerungen inhaftiert wird, hält der RTÜK-Präsident für angemessen. Dass ein Youtube-Kanal, der solche Worte sendet, nicht lizenzwürdig ist, steht außer Zweifel. Wie mit Youtube verfahren werden soll, lässt er offen. Doch wenn man bedenkt, dass die inkriminierte Äußerungen im Zusammenhang mit der Blockade von Instagram vorgebracht wurde, kann wohl auch als Warnung verstanden werden, dass mit Youtube genauso verfahren werden könnte.
Erstaunlich ist zudem, dass Dilruba Kayserioğlu unmittelbar nach Eröffnung des Gerichtsjahres zu einer Freiheitsstrafe von 7,5 Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. Man muss dem Prozess besondere Priorität beigemessen haben. Gemäß des Zeitablaufs erfolgte die Verurteilung am ersten Prozesstag. Sowohl die Geschwindigkeit für den Prozesstermin als auch das Urteil bei der ersten Verhandlung wirken so außergewöhnlich, dass vielleicht von Standrecht gesprochen werden könnte.
Mit Anbruch des Septembers beginnt das neue Gerichtsjahr. Den Auftakt bildet ein Festakt am Kassationsgerichtshof. Dabei gibt es drei Redner. Es beginnt mit dem Präsidenten der Union der Rechtsanwaltskammern. Dann folgt die Rede des Präsidenten des Kassationsgerichtshofes und zum Schluss spricht der Staatspräsident. Es ist in den letzten Jahren üblich geworden, die Veranstaltung live zu übertragen – ohne die Rede des Präsidenten der Anwaltskammer. Bisher ist dieses Embargo vom Staatspräsidenten ausgegangen. In diesem Jahr jedoch ging die Initiative lauf Informationen der Kolumnistin der Tageszeitung Karar Elif Çakır vom Präsidenten des Kammergerichts aus. Dieser wiederum plädierte für ein „nationales Rechtssystem“. Man kann dies ohne weiteres als Absage an den Gedanken eines universalen Rechtssystems betrachten. Schließlich hat sich der Kassationsgerichtshof eine eigene Deutungshoheit in Verfassungsfragen zugesprochen und übergeht Urteile des Verfassungsgerichts. Auch übergeht er Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrecht, obgleich eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zu Anerkennung besteht. In die gleiche Kerbe schlug auch der Staatspräsident, der hervorhob, dass man sich an Gerichtsurteile zu halten habe. Doch im Hinblick auf konkurrierende Rechtssprechung kündigt er eine Klarstellung an. Worin diese bestehen wird, ist leicht vorhersehbar. Zwar tritt die AKP nicht wie ihr Bündnispartner MHP für die Abschaffung des Verfassungsgerichts ein, doch fordert Justizminister Tunc schon seit einem Jahr, dass das Verfassungsgericht nicht zu einem „Supergericht“ werden dürfe.
In seiner Antwort auf eine Kritik des CHP-Vorsitzenden Özel erklärte Staatspräsident Erdoğan, dass gute Beziehungen zu östlichen Staaten ebenso guten zur EU nicht im Wege stünden. In der vergangenen Woche hatte Außenminister Fidan an einem EU-Außenministertreffen teilgenommen. Es war das erste Mal seit fünf Jahren, das ein türkischer Außenminister eingeladen wurde. Dass die Türkei Anfang der Woche einen förmlichen Antrag auf Mitgliedschaft im Staatenbund BRICS stellte. Es wird vermutet, dass die EU-Gespräche nicht befriedigend verlaufen sind. Dass ein solcher Beitritt in Brüssel nicht auf Wohlwollen stoßen wird, ist angesichts der Mitgliedschaft von Russland und China vorprogrammiert. Dass die Integration der BRICS-Staaten weit von der der EU entfernt ist und die wichtigsten Handelspartner der Türkei in der EU sind, lässt den Schritt nicht klüger erscheinen.
Für Irritationen sorgte in diesem Zusammenhang auch die Informationspolitik der Regierung. Man sollte meinen, dass eine Neuorientierung der Außenpolitik eine Regierungserklärung Wert wäre. Doch die erste Nachricht kam von Bloomberg und wurde dann vom russischen Vizepräsidenten bestätigt. Diese Kritik wurde zugleich von der Kritik ergänzt, dass eine solche grundsätzliche Frage nicht allein vom Staatspräsidenten getroffen werden sollte. Dass weder eine Regierungserklärung erfolgte noch eine Beteiligung des Parlaments kann aber auch so interpretiert werden, dass der Antrag für die BRICS-Aufnahme zunächst ein Versuchsballon war, mit dem die Akzeptanz unter den BRICS-Staaten und der türkischen Öffentlichkeit getestet wurde.
Der Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten Sisi diente der Demonstration für den Normalisierungsprozesse zwischen beiden Staaten. Als Verbündete der Muslimbruderschaft hatte Staatpräsident Erdoğan nach dem Militärputsch in Ägypten die Legitimität von Staatspräsident Sisi in Frage gestellt. Dies schlug sich auch in einer Konfrontation beider Länder im lybischen Bürgerkrieg nieder, bei dem sie unterschiedliche Konfliktparteien unterstützen. Die Kooperation von Ägypten mit der Republik Zypern, Israel und Griechenland dagegen führten zu einer zunehmenden Isolation der Türkei im östlichen Mittelmeer. Diese Kooperation scheint nun für Ägypten nicht mehr vordergründig, ist aber nach wie vor vorhanden. Dementsprechend wurde der Besuch von Staatspräsident Sisi auch nicht unbedingt als Beleg dafür bewertet, dass die Meinungsunterschiede beigelegt sind.
Offiziell befinden sich in Istanbul 600.000 Gebäude, die im Hinblick auf Erdbebensicherheit Mängel aufweisen. Der Verein DEGÜDER, der die Sanierung von Gebäuden vertritt, gibt an, dass 340.000 dieser Gebäude nicht abgerissen werden müsste, wenn sie verstärkt würden. Dies hätte mehrere Vorteile. Zunächst die Kosten – sie sinken gegenüber einem Neubau um bis zu 90 Prozent. Zudem liegt die Bauzeit von acht Monaten bei der Sanierung deutlich unter dem Neubau. Zudem kann das Gebäude während der Sanierung vielfach weiter genutzt werden und auch die Umweltbelastung ist deutlich geringer. DEGÜDER weist aber auch darauf hin, dass Änderungen im Baurecht vorgenommen werden müssen und dass viele Kommunen nicht über eine ausreichende Anzahl von Baufachleuten verfügen. Dies führt zu Verzögerungen im Genehmigungsverfahren.
Jedes Jahr im Septemberveröffentlicht die Regierung ein mittelfristiges Wirtschaftsprogramm, in dem sowohl Schätzungen zur Wirtschaftsentwicklung als auch die wichtigsten Ziele veröffentlicht werden. Wahrgenommen wurde es dieses Mal vor allem unter den Gesichtspunkten Inflationsentwicklung und Wirtschaftswachstum. Beide Werte wurden gegenüber dem Plan vom vergangenen Jahr revidiert. Während die Inflationsschätzung für 2024 auf 41,5 Prozent erhöht wurde, sank die Wachstumserwartung um 0,5 Prozentpunkte. Während die Inflation damit der Schätzung der Zentralbank angenähert wurde, erscheint die Senkung der Wachstumserwartung eher als Geste, die die Priorität der Inflationsbekämpfung unterstreichen soll.
Der Ökonom Ümit Akçay (Gazete Duvar) wies dabei auf eine neue Variante des Wachstumsdilemmas hin. Der Versuch durch eine bewusste Aufwertung der Türkischen Lira mit dem Ziel der Verringerung des Inflationsdrucks hat auch Auswirkungen auf den Außenhandel. Während der Export auf Grund der höheren Kosten gebremst wird, ist mit einem Anstieg des Imports verbunden, der bisher noch nicht eingetreten ist. Erkennbar ist jedoch eine Veränderung in der Komposition der Importe. Hier nahm der Anteil von ‚Vor- und Zwischenprodukten für die Industrie ab, während der der Konsumgüter anstieg. Dies geht einher mit eine Verringerung der Industrieproduktion. Für die Überwindung der strukturellen Probleme ist dies wiederum wenig hilfreich.
Im Hinblick auf den programmatischen Teil des mittelfristigen Programms wird – wie auch bei früheren Strategiepapieren – eingewendet, dass zwar Ziele benannt werden, jedoch keine Lösungsansätze benannt werden, mit denen sie erreicht werden sollen.