Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen
Seit dem Sieg in den Kommunalwahlen sieht sich die CHP als künftige Regierungspartei. Doch es mehren sich die Stimmen, die vor allzu großem Selbstvertrauen warnen. Denn das Versprechen einer neuen Politik hat sie bisher nicht einlösen können. Ein Handicap ist dabei die immer wieder spürbare Rivalität zwischen dem Parteivorsitzenden, den Oberbürgermeistern von Istanbul und Ankara sowie dem im vergangenen Jahr abgewählten Vorsitzenden. Doch auch jenseits dessen sind politische Initiativen zur Überwindung drängender Probleme – abgesehen von Kundgebungen zu verschiedenen Themen, ohne Kontinuität – bisher ausgeblieben. Nachdem sich auch in der September-Inflation noch kein Anzeichen für einen Rückgang eingestellt hat, wächst die Spannung, ob die aktuelle Geldpolitik weitergeführt wird. Finanzminister und Zentralbankpräsident zeigen Standhaftigkeit, doch ist es schon eine Weile her, dass der Staatspräsident sich hinter diese Politik gestellt hat.
Es wird schon lange kommentiert, dass die Angriffe Israels auf Gaza, die West Bank oder den Libanon eigentlich dem Einfluss des Irans in der Region gelten. Nach mehreren Attentaten auf hochrangige, dem Iran nahestehende Milizführer und Angriffen auf den Libanon entschloss sich der Iran am 1. Oktober zu einer Raketensalve auf Israel. Über das Ausmaß der Schäden ist nichts bekannt, doch wird davon ausgegangen, dass Israel eine Vergeltung auf iranischem Territorium durchführen wird. Offen bleibt, ob durch gegenseitige Eskalation ein direkter Krieg zwischen dem Iran und Israel ausbricht. Denn weil es sich nicht um Nachbarländer handelt, würde ein solcher Krieg alle Nahost-Länder betreffen.
Ein solcher Prozess würde sich unmittelbar an den Grenzen der Türkei abspielen. Insofern wäre sie nicht wie alle Länder weltweit durch die Öl-Risiken betroffen, sondern auch direkter durch mögliche neue Flüchtlingsbewegungen und Einbußen im Handel. Ein wichtiger Trumpf, den die iranische Führung sicherheitspolitisch immer wieder ausspielte, ist ihr Zugriff auf wichtige Exportrouten für Öl aus dem Nahen Osten. Eine Störung des Tankerverkehrs im Persischen Golf hätte weit schwerwiegendere Folgen als die bereits durchgeführte Störung des Seeverkehrs im Roten Meer. Die Folge wäre ein rasches Emporschnellen der Energiepreise. Vor dem Hintergrund steigender Inflation würden die Pläne der westlichen Zentralbanken zu Zinssenkungen verzögert. Das globale Rezessionsrisiko würde auch durch diese Entwicklung gesteigert.
Die Türkei würde nicht nur durch den Energiepreis, sondern vermutlich auch durch Druck auf die Türkische Lira betroffen. Sollte auch der Irak destabilisiert werden, so wäre der zweitgrößte Exportmarkt der Türkei betroffen. Sollte es zudem zu größeren Flüchtlingsbewegungen kommen, so wäre auch hier die Türkei vermutlich eine der wichtigsten Anlaufstationen.
Bei der Rezeption anlässlich der Eröffnung des neuen Gesetzgebungsjahres sorgte der MHP-Vorsitzende Bahçeli für Überraschungen. Er ging auf die Vorsitzenden der DEM zu und schüttelte ihnen die Hand. Obgleich er zuvor noch vehement ein Verbot der Partei gefordert hat. Er pries den früheren Außenminister und Vorsitzenden der Gelecek Partei Ahmet Davutoğlu als einen Staatsmann, für dessen Erfahrungen heute großer Bedarf bestünde. Selbst für den CHP-Vorsitzenden Özel fand er positive Worte. Er kommentierte später sein Verhalten damit, dass in der anbrechenden neuen Phase Bedarf an Frieden bestehe. Er hat es da einfacher als Özel, der mit seinen spontanen Initiativen bei der CHP aneckt. Doch ob auch Bahçeli seine überraschenden Manöver nicht doch seiner Parteibasis erklären muss, wird sich erweisen.
Spitzenpolitiker der CHP sind nicht zu beneiden. Jeder wartet auf einen kleinen Fehler, um ihnen ein Bein zu stellen. Als nach Korruptionsvorwürfen beim Türkevi in New York der CHP-Vorsitzende dort hineilte, um zu erklären, dass die Türkei ein großer Staat sei, der keine Bestechung für Baugenehmigungen benötige, fand dies nicht ungeteilte Zustimmung in seiner Partei. Hinzu kommt, dass er in der Sache ein wenig ungenau blieb. Und so macht er sich zur Zielscheibe für seinen Vorgänger Kemal Kılıçdaroğlu, der auf der Lauer liegt, um eine neue Kritik abzufeuern. Es geht ihm vordergründig gegen die Normalisierungspolitik Özels, doch wirkt es immer so, als ob eine Abrechnung mit seiner Partei das eigentliche Anliegen sei.
Die jüngste Auseinandersetzung gab es bei der Parlamentseröffnung. In den letzten Jahren hatte sich die CHP-Fraktion nicht erhoben, wenn Staatspräsident Erdoğan das Parlament betritt, um die Eröffnungsrede zu halten. Doch dieses Mal schickte Özel seiner Fraktion eine SMS mit der Anweisung, sich beim Eintreten des Staatspräsidenten zu erheben. Dies erboste einige Abgeordnete, die es vorzogen, an der Sitzung nicht teilzunehmen oder sich demonstrativ zu widersetzen, indem sie nicht zur Ehrenbezeugung aufstanden.
Özel erklärte anschließend, es sei ihm nicht um eine Ehrenbezeugung für Erdoğan gegangen, sondern für das Amt, das er ausübt. Eine spitzfindige Unterscheidung, denn in seiner jetzigen Form ist dieses Amt speziell für den aktuellen Amtsinhaber geschaffen worden. Gleichwohl zeigt sich außerdem, dass spontane Inszenierungen durch den Vorsitzenden risikoreich sind. Er scheint niemanden in der Fraktion gefragt zu haben.
Im Verfahren um die Ermordung des früheren Vorsitzenden der MHP-nahen Ülkü Ocakları Sinan Ateş wurde am 2. Oktober das Urteil gesprochen. Die Verfahrenszeit war vergleichsweise kurz bemessen, während sich viele Gerichtsverfahren über Jahre hinziehen, bemisst sich die Dauer trotz Gerichtsferien auf wenige Monate. Zu den Besonderheiten des Verfahrens gehört, dass sich für die Aufklärung des Mord-Komplotts weniger die früheren Freunde des Opfers, sondern vor allem Linke und Oppositionelle einsetzten und die Familie des Ermordeten unterstützte.
Erklärbar wird diese Konstellation vielleicht durch die Einzelheiten. In die unmittelbare Vorbereitung waren nicht nur frühere Ülkü Ocak Funktionäre, sondern auch Polizisten verstrickt, die auch die Flucht des Attentäters bewerkstelligten. Und weitere Spuren führten bis zu einem MHP-Parlamentsabgeordneten und in die MHP-Zentrale.
Das Gericht entschied sich für ein straffes Verfahren. Es konzentrierte sich unmittelbar auf die Tat und schloss weitere Beweise aus, die den politischen Hintergrund erhellt hätten. Damit wurde nicht nur ein kurzes Verfahren erreicht, sondern auch vermieden, schmutzige (politische) Wäsche ans Tageslicht zu befördern. Gegen die unmittelbaren Tatbeteiligten wurden harte Strafen ausgesprochen.
Bleibt natürlich abzuwarten, ob die nun Verurteilten nicht durch eine neue Strafvollzugsreform in ein bis zwei Jahren das Gefängnis wieder verlassen.
Das aktuelle Programm zur Inflationsbekämpfung sieht vor, dass die Türkische Lira durch eine Steigerung der Exporte bei Rückgang der Importe stabilisiert wird. Eine stabile und aufgewertete Türkische Lira wiederum soll den Inflationsdruck dämpfen. Und tatsächlich weist die Außenhandelsstatistik einen Rückgang der Importe um 8,6 Prozent seit Jahresbeginn aus. Dies entspricht einem Rückgang von 21,3 Mrd. Dollar.
Auf der anderen Seite muss man ein Paradox erwähnen. Die Aufwertung der Türkischen Lira verteuert Exporte und macht Importe billiger. Eine Verbesserung der Handelsbilanz ist unter diesen Vorzeichen nur auf der Grundlage einer Produktivitätssteigerung zu erwarten, die jedoch von heute auf morgen nicht eintritt. Der Kolumnist der Wirtschaftsplattform ekonomim H. Bader Arslan hat sich die Importdaten näher angeschaut und festgestellt, dass mehr als die Hälfte des Rückgangs der Importe auf Gold entfällt. Weitere wichtige Posten sind Energie, Eisen/Stahl sowie Plastik und Kupfer. Allein der Rückgang der Goldimporte macht rund die Hälfte der Verbesserung der Handelsbilanz aus.
Bader Arslan merkt dazu an, dass der starke Rückgang der Goldimporte darauf zurückzuführen ist, dass im Vorjahr besonders viel Gold eingeführt wurde. Dies lag nicht zuletzt daran, dass die Zinsen auf Spareinlagen so niedrig waren, dass sie von der Inflation aufgefressen wurden. Aus diesem Grund stieg die Nachfrage nach Gold als Anlageinstrument. Inzwischen sind die Sparzinsen attraktiv und die Nachfrage nach Gold darum gesunken.
Für September gibt das Türkische Statistikinstitut den offiziellen Wert für die Monatsinflation mit 2,97 Prozent an. Für Istanbul liegt die Messung der Handelskammer Istanbul um einen Prozentpunkt höher und die unabhängige akademische Arbeitsgruppe Inflation (ENAG) hat sie mit 5,34 Prozent gemessen. Allen drei Messungen gemeinsam ist, dass die Jahresinflation weiter zurückgegangen ist.
Mit dem Septemberwert gerät die Inflationsschätzung der Zentralbank in Gefahr. Ohnehin hatte diese bisher stets betont, dass sie nicht auf die Jahresinflation sondern die monatliche Entwicklung schauen würde. Und hier zeichnet sich trotz des hohen Zinsniveaus kein wirklicher Rückgang ab. Auf der anderen Seite werden die Klagen aus der Industrie über eine Konjunktureintrübung nachdrücklicher. Banken scheinen einen Zinsrückgang für Immobilien und Fahrzeugkredite vorzubereiten.
Der Finanzminister und die Zentralbank geben sich entschlossen, die Hochzinspolitik nicht zu lockern, bevor ein nachhaltiger Inflationsrückgang eingetreten ist. Doch entscheidend wäre es wohl, wenn der Staatspräsident seine Unterstützung des Programms bekräftigte. Vor diesem Hintergrund könnten die kommenden zwei Monate für jede Art von Überraschung gut sein.