Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen
Der Wahlkampf für die zweite Tour der Präsidentenwahl steht vor dem Abschluss. Neben Themen wie innere Sicherheit und Migration lassen sich verschiedene gefälschte Wahlmaterialien der CHP zur AKP zurückverfolgen. Auch der Staatspräsident bestätigt, dass er ein gefälschtes Video seines Konkurrenten bei einer Veranstaltung benutzte, sieht darin aber nichts Verwerfliches. Die Netto-Reserven der Zentralbank sind erstmals seit 20 Jahren wieder im negativen Bereich. Ab der kommenden Woche wird also vermutlich wieder über ökonomische Realitäten gesprochen.
Eigentlich ist es eine Binsenweisheit: Wahlversprechen werden nicht unbedingt gehalten. Und wenn sie gehalten werden, entpuppt sich die versprochene Wohltat immer wieder als vorübergehend. Und obgleich all dies bekannt ist, richten sich alle Erwartungen darauf, wer am kommenden Sonntag die Abstimmung über das Präsidentenamt gewinnt. Dass Staatspräsident Erdoğan verspricht, mit seiner „erfolgreichen Wirtschaftspolitik“ fortzufahren, weckt Befürchtungen in Wirtschafts- und Finanzkreisen. Doch kann er damit überhaupt fortfahren? Am 25. Mai 2023 veröffentlichte die Zentralbank ihre Bilanz der Vorwoche. Erstmals seit zwanzig Jahren sind die offiziellen Netto-Reserven im negativen Bereich. Zählt man Einlagen anderer Zentralbanken (Swap) nicht hinzu, liegt das Defizit bei den Netto-Reserven bei mehr als 60 Mrd. Dollar. Angesichts des anhaltenden Zahlungsbilanzdefizits und des Volumens kurzfristiger Auslandsschulden ist nicht abzusehen, wie diesem Defizit beizukommen ist. Derweil sinkt die Kreditwürdigkeit (CDS) der Türkei rasant. Auch wenn nicht bekannt ist, wie eine neue Geldpolitik Erdoğans aussieht – die bisherige Politik kann er nicht fortsetzen, weil ihm das Geld fehlt. Der Weg aus den vielen Problemen, die die aktuelle Geld- und Wirtschaftspolitik hervorgebracht hat, wird bitter. Zur Finanzierung des gigantischen Haushaltsdefizits beispielsweise gibt es zwei Wege: höhere Steuern oder aber eine Inflation auf einem Niveau, das die Staatsschulden nivelliert. Die eine wie die andere Lösung oder eine Kombination aus beiden führt zu einem weiteren Kaufkraftverlust und damit zu weiterer Armut.
Kemal Kılıçdaroğlu hat in der kurzen Zeit bis zum zweiten Wahlgang den Fokus auf die nationalistischen Stimmen gelegt. Um dies glaubwürdiger zu machen, hat er mit Ümit Özdağ, dem Vorsitzenden der rechtsextremen Zafer Partei verhandelt. Zum Schluss wurde ein Protokoll unterzeichnet, in dem er verspricht, innerhalb eines Jahres alle syrischen Flüchtlinge aus der Türkei auszuweisen. Außerdem sollen weiterhin bei ausreichenden Beweisen Bürgermeister unter Terrorismusverdacht abgesetzt und durch Treuhänder ersetzt werden. Auch ging das Gerücht um, dass Özdağ Innenminister werden sollte. Dies wurde jedoch dementiert.
Niemand mit gesundem Menschenverstand kann sich vorstellen, wie knapp 3,4 Millionen Syrer binnen eines Jahres aus der Türkei ausgewiesen werden können. Eine Rückkehrperspektive haben sie nicht. Eine Weiterwanderung nach Europa ist ebenfalls unrealistisch. Die Gewalt, die bei ihrer Vertreibung angewendet werden müsste, würde die Türkei aus dem Kreis der zivilisierten Länder verbannen. Von Demokratie und Rechtstaatlichkeit ganz zu schweigen. Also werden vermutlich auch zwei Jahre nach einem möglichen Wahlsieg von Kemal Kılıçdaroğlu voraussichtlich mehrere Millionen Syrer in der Türkei wohnen.
Dies bedeutet nicht, dass der Ausgang der Wahl am kommenden Sonntag egal ist. Im Grunde ist sie ein Referendum darüber, ob die Türkei zur parlamentarischen Demokratie zurückkehrt oder aber ihren Weg in den Autoritarismus fortsetzt.
Vor dem 14. Mai 2023, dem ersten Wahltag, wurden die Parteien nicht müde zu versichern, dass sie alle erdenklichen Vorkehrungen getroffen haben, um eine Manipulation der Wahlergebnisse zu verhindern. Kurz vor der zweiten Abstimmung kommt dagegen wieder eine Diskussion auf, die bereits 2018 geführt wurde: Wenn der Bevölkerungsanstieg von 2007 bis 2010 bei 3,1 Mio. lag, wie konnte dann die Zahl der Wähler um 6,7 Mio. steigen? Füsun Sarp Nebil führt bei der Nachrichtenplattform T24 aus, dass die Bevölkerung von 2007 bis 2023 um 14,6 Mio. gestiegen ist, die Zahl der Wähler jedoch um 21,4 Mio. Zwar wäre eine mögliche Erklärung die Änderung der Altersstruktur: es werden weniger Kinder geboren, dementsprechend steigt der Anteil derer, die alt genug sind, um an der Abstimmung teilzunehmen. Doch aus dies reicht nicht aus, um die große Diskrepanz zu erklären. Auch die Zahl der Einbürgerungen nicht. Denkt man zudem an die Höhe der Wahlbeteiligung, so scheinen sich die Ungereimtheit nicht allein auf die Wählerverzeichnisse zu beschränken.
Die 2018 nicht beantwortete Frage wird vermutlich auch 2023 nicht beantwortet. Ebenso wenig wie der Vorwurf, dass Stimmen einer Partei einer anderen zugeschrieben wurden. Denn mit der Veröffentlichung des amtlichen Endergebnisses sind die Einsprüche entschieden…
In einem anderen Beitrag bei T24 zeigt Sertuğ Çiçek eindrucksvoll auf, das jede Stimme zählt. In Isparta gewann die AKP ein Mandat mit 47 Stimmen, die der Iyi Partei fehlten. In Hakkari gewann die YSP ein Mandat, weil der AKP 359 Stimmen fehlten. In Van fehlten der CHP 613 Stimmen und das Mandat ging an die YSP.
Im ersten Quartal 2023 ist die Zahl der Gebäudezulassungen auf 130.000 gesunken. Die Zahl der Gebäude sank um 9,2 Prozent, die Fläche um 2,1 Prozent. Zugleich sind die Baupreise im Jahreszeitraum um 60,7 Prozent, im Monatszeitraum um 2,16 Prozent gestiegen. Demgegenüber ist der Verkauf von Wohnungen rückläufig. Im April 2023 waren es 85.652, was einem Rückgang von 35,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat entspricht.
Betrachtet man die regionalen Verhältnisse, so werden ab dem kommenden Jahr die Wohnungen für die Erdbebenopfer vermutlich die Statistik bereinigen. Doch in den Metropolen ist Wohnraum knapp und teuer. Zugleich dürfte die Nachfrage nach Baumaterialien durch die Projekte im Erdbebengebiet die Baupreise weiter ansteigen lassen. Dies wird nicht ohne Auswirkungen auf die Mieten in den Großstädten bleiben.
Sinkende Frachtkosten und der künstliche Dollarkurs haben zum einen zu einer Zunahme der Import geführt und zum anderen auch dessen Zusammensetzung verändert. Während bei Konsumgütern nahezu einer Verdoppelung auftrat, ist auch die Einfuhr von industriellen Vorprodukten stark angestiegen. Beim Bekleidungssektor stieg der Import um die Hälfte, beim Stahl ging der Export um 48,3 Prozent zurück, während die Einfuhr um 5,9 Prozent anstieg.
Der Verein der Hersteller von Haushaltsgeräten wiederum teilt mit, dass der Export stark zurückgegangen ist, während der Inlandsabsatz deutlich stieg. Während die Verkäufe im Inland um 27 Prozent stiegen, gingen die Exporte um 54 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zurück. In konkreten Stückzahlen wurden im April 2023 841.000 Geräte verkauft, 1,059 Geräte wurden exportiert. Mit dem insgesamt verringerten Absatz ging die Produktion im April um 13 Prozent zurück. Der Verein führt die Schwäche des Exports vor allem auf die Rezessionsbefürchtungen in Europa zurück, die die dortigen Verbraucher verunsichern.
Obgleich das Zinsniveau von Individualkrediten im Durchschnitt mit rund 40 Prozent das höchste Niveau seit fünf Jahren erreichte, ist das Kreditvolumen im Jahreszeitraum auf das Doppelte gestiegen. Das Volumen der gewerblichen Kredite dagegen zeigte einen Rückgang.
Bedenkt man, dass die türkische Zentralbank bei ihrer Sitzung in dieser Woche den Leitzins bei 8,5 Prozent belassen hat, wird deutlich, wie gering der Bezug dieser geldpolitischen Entscheidung zu den Marktzinsen geworden ist.
Der schnelle Zuwachs des Kreditvolumens steht in einem doppelten Zusammenhang zur Inflation. Zum einen müssen höhere Kredite aufgenommen werden, weil die Preise stark steigen. Zum anderen führt die Ausweitung der Kredite zu einer hohen Nachfrage, die Spielraum für weitere Preiserhöhungen bietet.